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Was über den Anti-Terror-Einsatz bekannt ist

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09-01-2023

Was über den Anti-Terror-Einsatz bekannt ist

Inzwischen wurden Haftbefehle erlassen. Was bislang bekannt ist.

ARD

Was ist passiert?

In der Nacht zu Sonntag rückten die Einsatzkräfte mit einem Großaufgebot zur Wohnung eines 32-Jährigen in einer kleinen Einkaufsstraße im Norden der Ruhrgebietsstadt Castrop-Rauxel an. Der Verdacht: Der iranische Staatsbürger soll einen islamistisch motivierten Anschlag mit Giftstoffen vorbereitet haben, wie die Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf, die Polizei Recklinghausen und die Polizei Münster mitteilten. Neben der Wohnung des Mannes wurden unter anderem auch Kellerräume durchsucht.

Die Polizisten nahmen den 32-Jährigen und seinen 25 Jahre alten Bruder, der sich zufällig in der Wohnung aufhielt, fest. Gegen die beiden wurden Haftbefehle erlassen. Sie sind in Untersuchungshaft. Den Brüdern wird unter anderem vorgeworfen, dass sie sich Giftstoffe für einen islamistisch motivierten Anschlag beschaffen wollten.

Beobachter sprechen bei der Durchsuchung von einem der größten Anti-Terror-Einsätze seit Langem. Bei dem Zugriff waren übereinstimmenden Medienberichten zufolge auch Fachleute für biologisch-chemische Gefahren des Robert Koch-Instituts (RKI) vor Ort. Zahlreiche Einsatzkräfte trugen Schutzanzüge und Sauerstoffmasken. Beweismittel wurden in blauen Fässern zu einer Dekontaminationsstelle gebracht, die bei der Feuerwehr eingerichtet war.

Was wurde gefunden?

Giftstoffe wie Cyanid und Rizin wurden in der Wohnung des Verdächtigen nicht gefunden, wie die Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf mitteilte. Ob der 32-Jährige tatsächlich an Gift gekommen war und dieses etwa anderswo lagerte, beantworteten die Ermittler zunächst nicht.

Außerdem stellten die Polizisten Laptops, Handys und andere elektronische Speichermedien sicher. Die würden nun ausgewertet, sagte der Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft. Waffen seien nicht gefunden worden.

Was weiß man über die Verdächtigen?

Der in seiner Wohnung festgenommene Iraner steht im Verdacht, "eine schwere staatsgefährdende Gewalttat" vorbereitet zu haben, sagte der Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft. Es wird vermutet, dass er Anhänger einer sunnitischen islamistischen Terrorgruppe ist, wie die Nachrichtenagentur dpa aus Sicherheitskreisen erfuhr. Er soll demnach nicht im Auftrag staatlicher iranischer Behörden gehandelt haben.

Letzteres bestätigte auch der Sprecher der Düsseldorfer Generalstaatsanwaltschaft. Er sagte weiter, es gebe Hinweise auf ein islamistisch geprägtes Weltbild, aus denen eine Anschlagsplanung resultiere.

Bei dem anderen Festgenommenen handelt es sich um den Bruder des Verdächtigen. Nach Informationen des ARD-Terrorismusexperten Michael Götschenberg soll er sich in psychiatrischer Behandlung befinden. Deswegen soll er nur über das Wochenende bei seinem Bruder zu Besuch gewesen sein. Er war der Polizei zwar zuvor bekannt, allerdings aus Gründen, die nicht mit islamistischem Terror zusammenhängen. Die Männer sollen sich beide seit 2015 in Deutschland aufhalten.

Bei der Festnahme wurden sie nur notdürftig bekleidet über die Straße in ein Einsatzfahrzeug geführt, wie Augenzeugen berichteten. Keiner der beiden habe Widerstand geleistet. Weitere Verdächtige gibt es laut den Ermittlern nach derzeitigen Erkenntnissen nicht.

Wie kamen die Ermittler auf die Spur?

US-amerikanische Sicherheitskräfte warnten die deutschen Ermittler. Man habe am Samstag einen konkreten Tipp auf weit fortgeschrittene Anschlagspläne des 32-Jährigen erhalten, sagte ein Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf.

Bei der US-Behörde handelt es sich laut Informationen der "Bild"-Zeitung und des "Spiegels" um das FBI. Der "Spiegel" berichtet, das FBI habe den ersten Hinweis bereits an Weihnachten weitergeleitet. Offenbar hatten die US-Amerikaner eine Telegram-Chatgruppe infiltriert. Dort soll sich der Verdächtige laut des Magazins nach Bombenbauplänen und Giftstoffen erkundigt haben. Die Ermittlungen hätten kurz vor Silvester begonnen, sagte Terrorismusexperte Götschenberg in der tagesschau.

NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) sagte: "Wir hatten einen ernstzunehmenden Hinweis, der die Polizei dazu veranlasst hat, noch in der Nacht zuzugreifen."

Welche Giftstoffe vermuteten die Ermittler?

Der Mann steht im Verdacht, sich für einen Anschlag Cyanid und Rizin besorgt zu haben. Das hochgiftige Rizin wird laut RKI in der Kriegswaffenliste unter "Biologische Waffen" aufgeführt. Das Pflanzengift blockiert in Zellen die Proteinsynthese. Besonders giftig ist es bei Injektion oder Inhalation. Behandelt werden im Vergiftungsfall die Symptome - wie Lungenödeme, Kreislaufversagen und Leber- und Nierenschäden -, spezifische Therapiemöglichkeiten gibt es bisher nicht.

Cyanid ist ebenfalls hochgiftig, bereits kleinste Mengen wirken bei Menschen tödlich. Cyanide wirken nicht nur bei Verschlucken, sondern auch nach Einatmen über die Lunge. Beim Kontakt von Cyaniden mit Wasser entsteht Blausäure (Cyanwasserstoff), die für ihren typischen Bittermandelgeruch bekannt ist. Die Atemgifte wirken sehr schnell, die Opfer sterben an Atemlähmung.

Wie gefährlich Rizin ist, haben Ermittlungen vor vier Jahren in Köln gezeigt: Dort hatten ein Tunesier und seine deutsche Frau die Chemikalie hergestellt und Testexplosionen ausgelöst. Ein ausländischer Geheimdienst schöpfte Verdacht und gab einen Tipp. Beide wurden zu langen Haftstrafen verurteilt. Ein Gutachten ergab: Rein rechnerisch hätten durch die Giftmenge 13.500 Menschen sterben können. Bei der geplanten Verbreitung durch eine mit Stahlkugeln gespickten Streubombe wären es etwa 200 Tote gewesen.

Wie sind die öffentlichen Reaktionen?

Vor dem Hintergrund des Einsatzes sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser, die Gefahr islamistischer Anschläge in Deutschland ist nicht gebannt. "Unsere Sicherheitsbehörden nehmen jeden Hinweis auf islamistische Terrorgefahren sehr ernst - und handeln", sagte sie laut einer Mitteilung ihres Ministeriums. Seit dem Jahr 2000 hätten die Behörden in Deutschland 21 islamistische Anschläge verhindert.

Der aktuelle Fall zeige erneut, dass das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum als bewährte Bund-Länder-Kooperationsplattform funktioniert, so die SPD-Politikerin. Hier liefen die Informationen zusammen, um jederzeit schnell und wirksam handeln zu können. Die internationale Zusammenarbeit sei ebenso weiterhin ein wichtiger Baustein bei der Bekämpfung des internationalen islamistischen Terrorismus.

Der Terrorismusexperte Peter Neumann sagte am Rande der CSU-Landesgruppenklausur: "Diese Bedrohung ist geringer als vor sechs oder sieben Jahren, aber sie existiert nach wie vor. Das darf man nicht vergessen." Er wies darauf hin, dass bei fast jedem aufgedeckten Terrorplan der vergangenen Jahre der entscheidende Hinweis von US-Geheimdiensten gekommen sei. Deutschland sei auch bei der Terrorismusbekämpfung im Inneren nach wie vor sehr abhängig von Amerikas Geheimdiensten.

Der Unions-Innenexperte Alexander Throm kritisierte die Abhängigkeit Deutschlands von ausländischen Nachrichtendiensten. "Diese Abhängigkeit stellt ein beträchtliches Sicherheitsrisiko dar, welches mit der restriktiven Haltung der Ampel gegenüber unseren eigenen Diensten noch größer wird", sagte er den Zeitungen der "Funke"-Mediengruppe mit Blick auf die rot-grün-gelbe Bundesregierung.

Der Grünen-Innenexperte Konstantin von Notz sagte den Zeitungen der "Funke"-Mediengruppe: "Noch einmal wird deutlich, dass wir bei allen aktuellen, sehr ernstzunehmenden Bedrohungen aus dem Bereich des militanten, gut vernetzten Rechtsextremismus, keineswegs von islamistischen Täterinnen und Tätern ausgehende Gefahren aus dem Blick verlieren und unterschätzen dürfen."

 

Anti-Terror-Einsatz im Ruhrgebiet

Stand: 08.01.2023 14:36 Uhr

Keine Giftstoffe bei Durchsuchung gefunden

Nach der Festnahme eines Terrorverdächtigen in Castrop-Rauxel ist die Durchsuchung der Wohnung abgeschlossen. Dort gab es keine Hinweise auf Giftstoffe. Bundesinnenministerin Faeser warnt vor einer anhaltenden Gefahr durch islamistischen Terror.

دستگيري دو تروريست ايراني 2

Ermittler haben in der Nacht im Ruhrgebiet einen Mann wegen möglicher Anschlagspläne festgenommen und dessen Wohnung durchsucht. Dabei wurden keine Giftstoffe gefunden, wie die Düsseldorfer Generalstaatsanwaltschaft bekannt gab. Die Ermittler hätten aber Speichermedien beschlagnahmt. Diese müssten nun ausgewertet werden, so Oberstaatsanwalt Holger Heming.

Der Iraner wird verdächtigt, sich Cyanid und Rizin beschafft zu haben. Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul erklärte nach dem Einsatz, es habe "einen ernstzunehmenden Hinweis" gegeben, "der die Polizei dazu veranlasst hat, noch in der Nacht zuzugreifen".

Vorbereitung eines islamistisch motivierten Terroranschlags

Neben dem 32-Jährigen war in der Nacht auch sein Bruder in der Wohnung festgenommen worden, sagte eine Polizeisprecherin. Laut Heming wird noch geprüft, ob es bei ihm einen Zusammenhang mit den Vorwürfen gibt.

Medienberichten zufolge ermittelt das Bundeskriminalamt bereits seit mehreren Tagen in dem Fall. Laut der "Bild" soll ein "befreundeter Geheimdienst" die deutschen Sicherheitsbehörden über die Anschlagsgefahr mit einer chemischen Bombe gewarnt haben.

Anti-Terror-Einsatz in NRW nach Festnahme eines Verdächtigen beendet

Caroline Hoffmann, WDR, tagesschau 17:45 Uhr, 8.1.2023

Rizin wird als Kriegswaffe eingestuft

Polizei, Feuerwehr und Rettungskräfte waren mit einem Großaufgebot vor Ort. Weil Cyanid und Rizin hochgiftig sind, wurden die Beweisstücke in blauen Fässern zu einer speziellen Untersuchungsstelle gebracht.

Laut einem Bericht der "Bild" waren wegen der biologisch-chemischen Gefahren für die Einsatzkräfte auch Mitarbeiter des RKI als Berater vor Ort. Auch mehrere Mitarbeiter des Bundeskriminalamtes und ein Entschärferkommando seien im Einsatz gewesen.

Rizin wird laut dem Robert Koch-Institut (RKI) in der Kriegswaffenliste unter "Biologische Waffen" aufgeführt. Je nach Art der Aufnahme verläuft die Vergiftung tödlich - und zwar bereits nach 36 bis 72 Stunden. Cyanid ist ebenfalls hochgiftig, bereits kleinste Mengen wirken bei Menschen tödlich.

Faeser warnt vor islamistischem Terror

Bundesinnenministerin Nancy Faeser warnte angesichts der Festnahme vor einer anhaltenden Bedrohung durch islamistischen Terror. "Deutschland steht weiterhin im unmittelbaren Zielspektrum islamistischer Terrororganisationen", erklärte die SPD-Politikerin in Berlin. Islamistisch motivierte Einzeltäter seien eine weitere erhebliche Gefahr. "Unsere Sicherheitsbehörden rechnen deshalb jederzeit mit Vorbereitungen für einen Anschlag", ergänzte sie. Seit dem Jahr 2000 hätten die Sicherheitsbehörden 21 islamistische Anschläge verhindert.

Auch der Terrorismusexperte Peter Neumann sieht die möglichen Anschlagspläne als Beleg dafür, dass die islamistische Bedrohung in Deutschland nach wie vor besteht. "Diese Bedrohung ist geringer als vor sechs oder sieben Jahren, aber sie existiert nach wie vor. Das darf man nicht vergessen", sagte der Professor am King's College in London bei der Klausur der CSU-Bundestagsabgeordneten im bayerischen Kloster Seeon.