Loading...

"Die Presse" Exklusiv-Iran: Das Terrorkomplott, das von Wien ausging

image
24-10-2020

"Die Presse" Exklusiv-Iran: Das Terrorkomplott, das von Wien ausging

Die Presse Maryam Rajavi ncri iran 24 oct. 2020In einem Wiener Palais in der Jaurèsgasse, in der Botschaft der Islamischen Republik Iran, liefen vermutlich die Fäden für eines der größten Terrorkomplotte zusammen, die in den vergangenen Jahren auf europäischem Boden geplant wurden. Der Anschlag hätte am 30. Juni 2018 dem Kongress des oppositionellen Nationalen Widerstandsrats des Iran (NWRI) im Pariser Vorort Villepinte gelten sollen.

Die Folgen wären verheerend gewesen: Mehr als 20.000 Menschen nahmen an dem Treffen teil, darunter die NWRI-Präsidentin und Anführerin der iranischen Volksmudjaheddin, Maryam Rajavi, sowie internationale Gäste von Rudy Giuliani, dem ehemaligen New Yorker Bürgermeister und Anwalt Donald Trumps, über den kanadischen Ex-Premier Stephen Harper bis zum früheren französischen Außenminister Bernard Kouchner. Das Attentat konnte in letzter Minute vereitelt werden.

Staatsterrorismus, geplant in Österreich

Vier Angeklagte müssen sich dafür ab dem 27. November, neun Uhr früh, vor einem Gericht in Antwerpen wegen versuchten terroristischen Mordes und Mitgliedschaft in einer Terrorvereinigung verantworten: das belgisch-iranische Ehepaar Amir S. und Nasimeh N., ein Maulwurf unter den Volksmudjaheddin namens Merhad A. und Assadolah Assadi, der ehemalige Dritte Botschaftssekretär der iranischen Vertretung in Wien. Der 49-Jährige soll unter seinem „diplomatischen Deckmantel“ dem iranischen Geheimdienstministerium MOIS als Offizier gedient haben – in der Einheit 312, die von der EU als terroristische Organisation betrachtet werde. Seine Aufgabe sei es gewesen, „menschliche Quellen“ zu führen.

Assadi sei der „operationelle Kommandant“ des Anschlagsversuchs auf den Kongress in Villepinte gewesen, heißt es in einem Brief des belgischen Nachrichtendienstes VSSE an den mit dem Fall betrauten Staatsanwalt in Antwerpen. Er habe den Mitverschwörern zwei Tage vor dem geplanten Attentat den Sprengstoff übergeben.

In dem Schreiben vom 18. Februar 2020, das der „Presse“ ebenso wie andere Unterlagen aus dem Terrorprozess vorliegt, zieht der belgische Geheimdienstchef, Jaak Raas, einen brisanten politischen Schluss, der noch weitreichende Konsequenzen haben könnte. „Der Anschlagsplan wurde im Namen des Iran konzipiert und vorangetrieben. Es handelte sich um keine Privatinitiative von Assadi.“ War es Staatsterrorismus, dirigiert von einem Diplomaten? Auf der Anklagebank in Antwerpen sitzt nicht nur ein Dritter Botschaftssekretär, sondern die gesamte Islamische Republik.

Sprengstoff in der Toilettentasche

Die Volksmudjaheddin, eine straff organisierte Bewegung mit islamisch-marxistischen Wurzeln, war selbst als Terrororganisation gelistet – bis 2009 in der EU, bis 2012 in den USA. Die Gruppe verübte wiederholt Anschläge im Iran. Das Regime in Teheran zählt sie zu seinen Todfeinden.
Die Regierung in Teheran streitet eine Verstrickung in das Villepinte-Komplott vehement ab. Schon wenige Stunden nachdem die Verschwörung aufgeflogen war, sprach Außenminister Javad Zarif von einer „Operation unter falscher Flagge“, die dem Iran in die Schuhe geschoben werden solle. Die iranische Botschaft in Wien war auf Anfrage der „Presse“ zunächst zu keiner Stellungnahme bereit, ebenso wenig Assadis belgischer Anwalt, Dmitri De Béco.

Doch die Last der Beweismittel, welche die Staatsanwaltschaft in Antwerpen zusammengetragen hat, wiegt schwer. Es liegen Geständnisse, Chatverläufe, E-Mails, GPS-Daten, Rechnungen, Reisedetails, konfiszierte Notizbücher und Polizeiprotokolle vor, die ein deutliches Muster in dem Mosaik erkennen lassen. Vor allem konnten die Fahnder die Bombe rechtzeitig sicherstellen. Belgische, französische, deutsche und luxemburgische Ermittler arbeiteten eng zusammen, waren den Verdächtigen offenbar schon länger auf der Spur. Sie lagen auch auf der Lauer, als sich am 28. Juni 2018 in der gediegenen Oberstadt von Luxemburg die Wege der belgisch-iranischen Eheleute Amir S. und Nasimeh N. mit einem geheimnisvollen Dritten kreuzten.

Zwei Tage später stoppte die belgische Polizei das Paar auf dem Weg ins nahe Frankreich. Im Fahrzeug fand sie 550 Gramm Sprengstoff – Triacetontriperoxid, auch TATP oder „Satans Mutter“ genannt, verpackt in Plastik in einer Toilettentasche und separat davon einen Fernzünder. Die Einschätzung von Antwerpener Gerichtsexperten: Es müssen professionelle Bombenbauer am Werk gewesen sein, auch wenn die Ingredienzen leicht zu besorgen sind. Der Sprengstoff ist hochexplosiv, extrem empfindlich auf Wärme und Erschütterung. Da stellt sich die Frage: Wie lässt sich das Teufelszeug quer durch Europa kutschieren, ohne vorzeitig in die Luft zu gehen?

Bombenübergabe im Pizza Hut

Nach ihrer Verhaftung legten S. und N. ein Geständnis ab. Sie hätten im Großherzogtum Luxemburg einen Mann mit dem Decknamen „Daniel“ getroffen, mit dem sie schon länger in Kontakt gewesen seien. Bei ihm, da sind sich die Ermittler sicher, handelt es sich um den ehemaligen Dritten Botschaftssekretär aus Wien, Assadolah Assadi. In Luxemburg soll der Diplomat auch die Bombe beziehungsweise die Bestandteile dafür übergeben haben, angeblich bei einem schnellen Mittagessen im Fast-Food-Restaurant Pizza Hut.

Für ihn schnappte die Falle am 1. Juli 2018 zu, einen Tag nach dem vereitelten Anschlagsversuch in Villepinte. An jenem Sonntag hätte er seine Mitverschwörer in Köln treffen sollen. So war es vereinbart. Doch alles ging schief. Die deutsche Polizei nahm ihn auf Grundlage eines von Belgien ausgestellten europäischen Haftbefehls im Spessart fest, auf einer Autobahnraststätte in Aschaffenburg. Er war mit seiner Frau und seinen zwei erwachsenen Söhnen unterwegs. Sollte die Familien-Urlaubsfahrt nach Deutschland und Luxemburg als Tarnung für die Terrormission dienen? Offenbar hatte sich Assadi sicher gefühlt hinter seiner diplomatischen Immunität. Und darauf berief er sich auch während seiner rund 100 Tage in deutscher Haft. Doch am Ende lieferte ihn Deutschland an Belgien aus. Die formale Begründung: Assadi sei privat und nicht von Österreich in sein Heimatland Iran unterwegs gewesen, deshalb schütze ihn die Immunität nicht.

Die Islamische Republik setzte alle Hebel in Bewegung, um ihren Mann freizubekommen, zunächst zurück nach Österreich. Informationen der „Presse“ zufolge lehnte der Iran am 2. Juli 2018 zunächst das Ersuchen Österreichs ab, auf Assadis Immunität zu verzichten. Tags darauf wurde der iranische Botschafter erneut ins Wiener Außenamt zitiert, um eine Note in Empfang zu nehmen, in der die Republik bekannt gab, Assadis Diplomatenstatus aufgrund der Schwere der Vorwürfe nicht länger zu akzeptieren. Der Iran protestierte, konzentrierte sich aber ohnehin rasch auf Deutschland und Belgien. Der Zeitpunkt war heikel: Am 4. Juli 2018 traf der Präsident des Iran, Hassan Rohani, zu einem Staatsbesuch in Wien ein. Vorsichtshalber waren bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit Bundespräsident Alexander Van der Bellen keine Fragen zugelassen. Man hielt die Angelegenheit möglichst unter der Decke am Ballhausplatz.

Frankreich reagierte anders. Es fand harsche Worte der Verurteilung, zog für ein paar Monate den Botschafter aus Teheran ab – und verkündete das Einfrieren von Vermögenswerten des iranischen Geheimdienstministeriums, die allerdings möglicherweise nie existierten auf französischen Banken. Die Message war klar: Die Franzosen gingen davon aus, dass der Teheraner Nachrichtendienst den Anschlag nahe Paris in Auftrag gegeben hatte, vielleicht sogar die obersten Glieder der Befehlskette im Regime. Und das wollten sie sich nicht gefallen lassen.

Österreich verhielt sich vergleichsweise still, obwohl der mutmaßliche Kopf des Terrorkomplotts von Villepinte offenbar unter dem Schutz der dicken Mauern der iranischen Botschaft in Wien agiert hatte.

Konspirative Zugfahrt nach Salzburg

Assadi galt Informationen der „Presse“ zufolge als Stationsleiter des iranischen Geheimdiensts in Wien und nahm im nachrichtendienstlichen System der Islamischen Republik in Europa eine zentrale Rolle ein. Jedenfalls reichte der Radius des Veteranen aus dem Irak–Iran-Krieg weit über Österreich hinaus. Mit dem mutmaßlichen Terrorpärchen in Belgien hat er den Aussagen von Amir S. zufolge erstmals 2015 in München unter dem Codenamen „Daniel“ Kontakt aufgenommen. Amir S. war 2003 nach Belgien gezogen, um Asyl zu beantragen. Seine Ehefrau, Nasimeh N., kam 2007 nach. Möglicherweise rekrutierte sie ihn für den iranischen Geheimdienst MOIS. Ihre Hauptaufgabe war es vermutlich, Informationen über die Volksmudjaheddin heranzuschaffen.

Assadi traf die beiden den Gerichtsunterlagen zufolge mehrmals, darunter auch in Venedig, Mailand und möglicherweise wiederholt in Österreich. Gesichert ist ein Treffen in Salzburg. Dafür reisten die Attentäter mit dem Flugzeug nach Wien, um von dort mit dem Zug nach Salzburg zu fahren. Einem Geständnis zufolge soll während der Zugfahrt nach Salzburg auch der Anschlag in Villepinte besprochen worden sein. Demnach habe Daniel alias Assadi bei dieser Gelegenheit erklärt, dass die Sprengvorrichtung erst im Iran getestet werden müsse.

Daniel alias Assadi kommunizierte zudem per SMS unter einer österreichischen Handy-Telefonnummer mit den mutmaßlichen Attentätern. Dabei tauschten sie codierte Botschaften aus. Am Tag nach der Bombenübergabe erkundigte er sich: „Ist das Spiel installiert?“ Die Antwort: „Ja, das Spiel ist installiert. Wir können am Sonntagmorgen Ball spielen.“ Am Sonntag, dem 30. Juni 2018, sollte die Bombe beim Treffen des iranischen Widerstandsrats nahe Paris hochgehen. Am 1. Juli meldete sich Assadi noch einmal bei dem Pärchen. „Alles gut und in Ordnung?“, fragte er um 10.53 Uhr. Amir S. und Nasimeh N. antworten nicht mehr. Sie sind bereits verhaftet. Der Chatverlauf liegt der „Presse“ vor. In einem konfiszierten Notizbuch sollen auch verschlüsselte handschriftliche Bedienungsanleitungen des Diplomaten für die Bombe zu finden sein.

Zünder in AUA im Diplomatengepäck?

Ermittler gingen dem Verdacht nach, dass Assadi zumindest den Zünder am 22. Juni 2018 auf einem AUA-Flug von Teheran nach Wien geschmuggelt haben könnte. Doch Diplomatengepäck wird nicht untersucht. Jedenfalls fragten die belgischen Behörden im österreichischen Innenministerium nach und eruierten all seine Flüge zwischen Österreich und dem Iran seit 2014.

Ein Zivilkläger mit Einblick in die angeblich 15.000 Seiten umfassenden Gerichtsakten vertraute der „Presse“ an, dass Assadi auch in Verbindung zum vierten Angeklagten, Merhad A., gestanden sein soll, den die französische Polizei bei der Versammlung in Villepinte verhaftete. Demnach habe man bei dem mutmaßlichen iranisch-belgischen Komplizen ein Mobiltelefon mit einer österreichischen SIM-Karte gefunden. Darauf sei nur eine Nummer gespeichert gewesen: jene Assadis, des Dritten Botschaftssekretärs der iranischen Vertretung in Wien.

Einigen Erklärungsbedarf hat der Diplomat auch wegen einer Fahrt, die er 2017 nach Frankreich unternahm. Am 24. Juni 2017, ziemlich genau ein Jahr vor dem geplanten Anschlag, mietete Assadi bei einem Autoverleiher in der Wiener Schlachthausgasse mit seiner Visa-Karte für acht Tage um 1412 Euro einen Škoda Rapid, um gemeinsam mit einem Mullah in die Gegend von Villepinte zu fahren. Im Nachhinein wirkt dies wie eine Reise, um den Kongressort des Nationalen Widerstandsrats auszukundschaften.

Die Route konnten die Fahnder anhand der GPS-Daten auslesen. Assadi hatte wohl nie damit gerechnet, dass ihm sein Status als Diplomat in Österreich eines Tages keinen Schutz mehr gewähren könnte. Vielleicht glaubte er deshalb, auf die eine oder andere Vorsichtsmaßnahme verzichten zu können. Nach der Festnahme beschlagnahmte die deutsche Polizei einige Quittungen, die möglicherweise für Agenten ausgestellt wurden. Ist ein Teil des iranischen Spionagenetzwerkes in Europa aufgeflogen?

Drohungen gegen Belgien

In Antwerpen zeigt sich Assadi dem Vernehmen nach wenig kooperativ. Er beruft sich angeblich immer noch auf die Diplomatenkonvention. Und auch zu einer Drohung soll er sich bei einem Verhör hinreißen haben lassen, wie die Nachrichtenagentur Reuters unter Berufung auf ein Polizeiprotokoll vom 12. März 2020 berichtete: Belgien sei nicht klar, was im Fall eines ungünstigen Urteils geschehen werde, habe der Iraner düster erklärt. Bewaffnete Gruppen im Irak, Libanon, im Jemen, Syrien und auch im Iran seien sehr interessiert am Ausgang des Prozesses. Assadis Anwalt stellt in Abrede, dass sein Mandant an Vergeltung denke.

von Christian Ultsch

b2.jpg