Harte Drogen haben im Iran Konjunktur
Ghasal Toluian ist Psychologin und arbeitet in einem Bergdorf nordwestlich von Teheran. In einem Therapiecamp behandelt sie Dutzende Crystal-Meth-Abhängige. Viele ihrer Patienten seien Studenten, die mithilfe der Wachmacher die Examen zur Universitätszulassung bestehen wollten, sagt Toluian. Andere griffen zu den Aufputschern, weil sie bis zur Erschöpfung in zwei oder drei Jobs arbeiteten, um über die Runden zu kommen.
Obwohl auf viele Drogendelikte die Todesstrafe steht, explodieren im Iran Herstellung und Konsum harter Drogen. Nach offiziellen Angaben der Regierung sind mehr als 2,2 Millionen von 80 Millionen Bürgern des Landes abhängig von illegalen Drogen, darunter 1,3 Millionen in gemeldeten Behandlungsprogrammen.
Laut Angaben eines Regierungsvertreters vernichtete die Polizei in den vergangenen zwölf Monaten mindestens 416 Crystal-Meth-Labore, im Vorjahreszeitraum seien es 350.
Mangelnde Aufklärung über Crystal Meth
Zur Abhängigkeit führen oft falsche Vorstellungen: Viele der Patienten in den Kliniken glaubten, Crystal Meth sei vor allem ein Aufputschmittel. Dass es so schnell abhängig macht, war vielen nicht bewusst. "Ich arbeitete in einem Zug und musste jede Nacht bis zum Morgen wach bleiben", sagt Dschavad, der nur seinen Vornamen nennen will. Sechs Jahre konsumierte er Crystal Meth, angeblich um fit zu sein für immer mehr Überstunden. Doch dann brach er im vergangenen Jahr mitten in seiner Schicht im Zug zusammen und wurde entlassen.
Die iranische Revolutionsgarde soll seit wenigen Jahren einer der größten Drogenhändler der Welt sein. So geht es aus einer ganzen Reihe als geheim klassifizierter US-Depeschen hervor, die von der amerikanischen Botschaft in Aserbaidschan stammen. Eine zentrale Aufgabe der Botschaft dort besteht darin, den Iran zu beobachten, denn es gibt intensive Kontakte zwischen den Volksgruppen in beiden Ländern. Der Drogenhandel läuft dort den Unterlagen nach direkt unter den Augen der Amerikaner ab: Die Hauptroute führt durch Aserbaidschan nach Europa.
Unter Bezug auf vertrauliche Angaben örtlicher UN-Ermittler stieg die beschlagnahmte Drogenmenge sprunghaft an: Im ganzen Jahr 2006 seien nur 20 Kilo Heroin iranischen Ursprungs in Aserbaidschan entdeckt worden, im ersten Quartal 2009 seien es schon "annähernd 59.000 Kilo" gewesen, so die schwindelerregende Meldung. Das Heroin ist laut dieser geheimen Botschaft "voll laboraufbereitet" und "marktfertig".
Nach Zahlen des UN-Büros für Drogenbekämpfung wurde 2014 auf schätzungsweise 224.000 Hektar in Afghanistan Schlafmohn angebaut und damit 17 Prozent mehr als 2013. Damit produziert das Nachbarland rund 6400 Tonnen Opium, den Großteil in den unsicheren Provinzen Helmand und Kandahar im Süden. Allein im ersten Quartal 2009 hätte Aserbaidschan laut Depeschen etwa 7,5 Prozent der Heroinproduktion aus afghanischem Opium beschlagnahmt.
Wenn man das auf das ganze Jahr hochrechnet und berücksichtigt, dass etwa 20 Prozent des weltweit produzierten Heroins durchschnittlich von Sicherheitsbehörden beschlagnahmt werden, so lässt sich daraus nur ein Schluss ziehen: dass ein guter Teil des weltweiten Drogenhandels über den Iran läuft, dass der Iran den Löwenanteil der afghanischen Rohopiumproduktion kauft und der größte Teil der weltweiten Heroinproduktion im Iran erfolgt.
In einer als "Secret/Noforn" klassifizierten Depesche (geheim, kein Zugang für Ausländer) versucht die amerikanische Botschaft in Baku am 26. September 2008 die Gründe für den explosionsartig wachsenden Drogenhandel aus dem Iran zu verstehen. Die Beschlagnahmungen entsprechen nur "rund einem Fünftel des Gesamtvolumens an Heroin, das nach Aserbaidschan kommt", heißt es da, und "95 Prozent kommt aus dem Iran, fast die gesamte Menge geht weiter auf den europäischen Markt".
Schätzungen zufolge geben Europas Drogenabhängige jährlich rund 15 Milliarden Euro für Heroin aus. Das bedeutet, dass die iranischen Drogenhändler bei Europas Konsumenten Hunderte Millionen, wohl eher mehrere Milliarden Euro abkassieren – ein Gramm Heroin kostet Experten zufolge auf der Straße (in Europa) etwa 60 Euro. Die Großhändler erhalten davon etwa die Hälfte.
Wer aber sind die iranischen Händler, und warum die Route über Aserbaidschan? Die Depesche aus dem Jahr 2008 verweist auf die Tatsache, dass die bisherige Hauptroute über das Kurdengebiet in die Türkei schwierig geworden sei. Ein anderer Faktor sei, dass die russische Drogenmafia von Aseris beherrscht würde. Vor allem aber zeigt die Entwicklung nach Meinung der UNODC-Ermittler – so heißt es in der Depesche aus dem Jahr 2008 – dass es neuerdings große Heroin-Labore im Iran zu geben scheint, vor allem in Täbris, und dass der Iran zu einem "bedeutenden Produktions- und Transportzentrum für Heroin in Richtung Europa" heranwächst.
In einem Kommentar der Botschaft am Ende der Depesche heißt es, die Angaben der Gesprächspartner "decken sich mit unseren Eindrücken". Hinzuzufügen sei jedoch, dass zwar das aserbaidschanische Ministerium für Nationale Sicherheit "große Fortschritte" im Kampf gegen den Drogenschmuggel mache, dasselbe könne man jedoch nicht von der Zollbehörde und den Grenztruppen behaupten. Obwohl die Zollbehörde über spezielle "K-9"-Einheiten verfüge, würden diese nicht gegen Drogenhändler eingesetzt. Bei mehreren Gelegenheiten, als Vertreter des INL (das zum US-Außenministerium gehörende Bureau for International Narcotics and Law Enforcement Affairs, eine Art Beratungsstelle für die US-Regierung zum internationalen Drogenhandel) aserbaidschanische Zollfahnder an der Grenze zum Iran begleitet hätten, "schienen die Zollbeamten unfähig oder unwillig, Fahrzeuge effektiv zu durchsuchen".
In einer anderen, als "geheim" klassifizierten Depesche vom 15.Oktober 2009 zitiert die Botschaft den stellvertretenden aserbaidschanischen Außenminister Khalafow mit den Worten, iranische Sicherheitskräfte kontrollierten den Handel. Wenn Aserbaidschan iranische Drogenhändler an den Iran ausliefere, damit sie ihre Gefängnisstrafen im Heimatland absitzen, dann komme es oft vor, dass sie gleich wieder freigelassen würden. "Manchmal nehmen wir dieselben Leute etwas später wieder fest, die wir eben erst ausgeliefert hatten."
Die afghanische Regierung, so wird Khalafow in der Depesche zitiert, habe der Regierung in Baku mitgeteilt, dass "iranische Sicherheitskräfte" aktiv mit "ausgewählten afghanischen Gruppen von Drogenhändlern kooperieren". Außerdem hätten, so wird Khalafow in der Depesche zitiert, Verhöre festgenommener Drogenhändler ergeben, dass Angehörige der iranischen Sicherheitskräfte aktiv am Handel beteiligt seien und auch die Labore betrieben, wo das Heroin hergestellt würde.
Das Zentrum für die Produktion von Heroin aus afghanischem Rohopium sei die nordwestiranische Stadt Täbris nahe der aserbaidschanischen Grenze. Regierungsvertreter in Baku klagen, der Iran wolle Aserbaidschan "destabilisieren", indem er das Land mit Drogen überschwemme. Aus vielen geheimen US-Depeschen zum Thema Iran wird deutlich, dass intensive Machtkämpfe zwischen verschiedenen Cliquen innerhalb der iranischen Sicherheitskräfte ablaufen, insbesondere zwischen mächtigen Führern der Revolutionsgarden und der Geheimdienste.
Europas Drogenabhängige finanzieren das iranische Regime
Im Grunde geht es darum, wer nach dem Tod des betagten "Revolutionsführers" Ali Khamenei die Macht übernehmen kann – dafür braucht man Geld, und je weniger man sich dafür auf staatliche Quellen verlassen muss, desto besser. Denkbar ist auch, dass der von Wirtschaftssanktionen geplagte iranische Staat über den Drogenhandel an Devisen zu kommen versucht. Wenn tatsächlich die Revolutionsgarden oder der iranische Staat den Drogenhandel organisieren, dann bedeutet das: Europas Drogenabhängige finanzieren das iranische Regime mit Milliardenbeträgen.
Der Hinweis in den Depeschen aus Baku auf die früher intensiver genutzte Schmuggelroute durch das Kurdengebiet und in die Türkei spiegelt sich in einer – bereits von Wikileaks veröffentlichten – vertraulichen Depesche der amerikanischen Botschaft in Ankara vom 26. September 2008. Darin wird auf einen Heroinfund im selben Jahr verwiesen, in Lastwagen einer Firma namens Menas. Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu ging damit vors Parlament.
Er beschuldigte den stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der islamisch geprägten Regierungspartei AKP, Dengir Mir Firat (zugleich ein enger Berater von Ministerpräsident Erdogan in der Kurdenfrage), in den Heroinschmuggel verwickelt zu sein. Kilicdaroglu sagte vor laufenden Fernsehkameras, nachdem das Heroin gefunden worden sei, habe Firat die Zollbehörde in einem Brief aufgefordert, Menas-Lastwagen künftig nicht mehr zu durchsuchen. Firat war zuvor Mitbesitzer der Firma gewesen. Zu seiner Entlastung führte er an: "Selbst wenn ich noch Partner gewesen wäre, was hat es mit mir zu tun, wenn in einem Lastwagen Heroin ist", fragte er vor Millionen Fernsehzuschauern.
Irgendjemand muss ihm später gesagt haben, was es mit ihm zu tun hat. Er gab sein Amt als stellvertretender Parteivorsitzender der AKP ab, und seither gilt in den amerikanischen Depeschen aus Ankara "Korruption" und Verwicklung in dunkle Machenschaften als eine Achillesferse der Regierungspartei. Firat blieb jedoch Abgeordneter, und somit genießt er weiterhin parlamentarische Immunität.
Laut Informationen des türkischen Gesundheitsministers, Mehmet Müezzinoğlu, die auf Grund einer parlamentarischen Anfrage veröffentlicht wurden, ist laut UN-berichten die Zahl der Drogenbeschlagnahmungen in der Türkei von 2000 Konfiszierungsakte bezüglich Heroins im Jahr 2009 um das Doppelte bis 2014 angestiegen. Im Vergleich dazu ist ein entgegengesetzter Trend in Südosteuropa zu bemerken. Gab es 2009 in Südosteuropa 6000 Fälle der Beschlagnahmung von Heroin, ist diese Zahl bis 2012 auf 2500 zurückgegangen.
Die Türkei dient also weiterhin als wichtige Transitroute für den Drogentransport. Diese Route wird hauptsächlich von iranischen Schmugglern genutzt. 46 Prozent des Drogentransits in der Türkei übernehmen Iraner, in 25 Prozent der Fälle werden Bulgaren, in 15 Prozent Nigerianer und in weiteren 15 Prozent Albaner als Drogenkuriere tätig, so die Statistiken der Sicherheitsbehörden.